In der Nähe des Silberbrunnens am
Hengstberg
Hengstberg
arbeitete jahrelang ein armer KöhIer. Er
hatte eine Frau und ein Häuflein Kinder und die Not saß als ungebetener Gast täglich bei
ihm zu Tisch. Von Vater und Großvater her wusste er wohl, dass der Erdboden um den
Silberbrunnen herum reich an GoId und SiIber war und dass dort mancher Schatz von den
unterirdischen Geistern gehütet wurde. Aber so sehr er sich auch zu allen Zeiten mühte,
eine Spur davon zu entdecken, war doch alles vergebens.
Einmal saß er an einem Sommertag während der Frühstückspause auf einem Stein am
Silberbrunnen und verzehrte sein Stück trocknes Gerstenbrot. Da stand plötzlich wie aus
dem Boden gewachsen ein Zwerglein neben ihm, ganz in ein grünes Gewand gekleidet und
mit einem grünen Mützlein auf dem Kopf. Der Zwerg sah den Köhler aus seinen entzündeten ÄugIein bittend an und tippte ein paarmal auf das Brot. Der Köhler verstand und brach ihm ein Stück ab. Der Zwerg zerkrümelte es und aß die Bröselein mit großer Begier. Als er damit fertig war, zupfte er den Köhler am Ärmel und deutete mit dem Kopf nach dem Walde. Ohne Widerrede stand der Köhler auf und folgte dem Männlein eine
kurze Strecke in das Holz, bis sie vor einer Tür in einem Felsen standen, die der Köhler nie vordem hier gesehen hatte. Sie sprang auf, als sie der Zwerg kaum mit dem Finger berührt hatte, und ein niedriger, finsterer Gang zeigte sich. Der Köhler trat gebückt hinter dem Zwerglein, das ihn an der Jacke festhielt, hinein und tappte so wohl hundert Schritte in der Erde vorwärts. Allmählich wurde es heller, der enge Stollen weitete sich und endlich standen sie in einer geräumigen Höhle. In den Wänden glänzte edles Gold in langen Adern, während auf dem Boden große eiserne Kästen und Truhen voll Gold- und Silberstücken, Ringen, Stirnreifen, Armspangen und Schmucksteinen wirr durcheinander standen. In einem Ring an der Wand steckte eine brennende Fackel, die einen flackernden Schein auf die Schätze warf.
Der Zwerg zupfte den Köhler wieder an der Jacke und versuchte, ihn zu sich niederzuziehen. AIs sich der Köhler zu dem Männlein hinabneigte, flüsterte es ihm ins Ohr: "Nimm so viel du wiIlst; aber - fügte es eindringlich hinzu - ehe du die Erde wieder betrittst, tu, was ihr in euren Kirchen tut! Tu's um deinetwillen und um meinetwilen!" Dem Köhler wurde ganz wirr im Kopfe; er sah das gIeißende Gold und hörte nur, dass davon sein sei, so vieI er wolle. Wie ein Trunkener taumelte er zwischen den Kästen umher und stopfte alle Taschen bis zum Bersten voll, sogar den Brustlatz seines Lederschurzes. Dann stürzte er hinaus, ohne sich umzusehen.
Als das Tor mit lautem Krachen zuschlug, meinte er, ein langgezogenes Schreien wie das
eines kleinen Kindes hinter sich im Schoß der Erde zu vernehmen. Aber er hatte keine Zeit
sich zu besinnen; denn plötzlich begann sein Körper da, wo ihm die Schätze anlagen, zu
brennen, wie von Feuer verzehrt. Mit großen Schritten eilte er dem Bächlein zu, das dem
SiIberbrunnen entfloss, warf sich hinein und wälzte sich, bis der Schmerz nachließ. Dann
kroch er heraus und setzte sich am Rande nieder, um sich an seinen Schätzen zu ergötzen.
Aber wie er die Hand unter dem Schürzenlatz hervorzog, war sie mit elenden Schlacken
gefüllt, und so sehr er auch alle Taschen durchwühlte, fand er nicht ein edles Stäubchen
mehr. Da fiel ihm wohl ein, was er in seiner Habgier vergessen hatte. Aber nun war es zu
spät; denn obwohl der Köhler augenblicklich und auch noch später oft wieder genau den
Weg ging, den ihn der Zwerg geführt hatte, so konnte er doch die Tür nicht mehr finden
und musste ein armer Schlucker bleiben sein Leben lang.
Nach Emil Grimm: "Sagen und Geschichten aus Oberfranken"